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Marcel Weber – Land in Sicht

Bei seinem bislang einzigen echten Part fuhr Marcel zu dem Lied „Schritt für Schritt ins Paradies“ der deutschen 70er-Jahre-Kultband „Ton, Steine, Scherben“, dessen sentimentaler Text im Nachhinein wie eine Vorhersehung für Marcels jüngste Entwicklung wirkt. Seitdem sind fast vier Jahre vergangen und in dieser Zeit dachte ich oft, dass Marcel ein wenig orientierungslos auf einem Meer aus Skateboarding, Weed und dem inneren Gefühl der Geringschätzung umhertreibt. Nun scheint es aber so, als habe er sich ein Ruder an sein bis dato manövrierunfähiges Floß gebaut und in seinem Freund und Filmer Max Pack einen Steuermann gefunden, der dafür sorgt, dass Marcel Kurs hält, um vielleicht doch noch sein Ziel zu erreichen. Der Romantiker in mir ist davon jedenfalls fest überzeugt und spielt derweil einen anderen Song der „Scherben“, um das gute Omen musikalisch zu untermalen, wie es Marcel gefallen müsste. „Land in Sicht, singt der Wind in mein Herz…“

[Marcel öffnet die Tür auf Krücken, erzählt von seinem Skateunfall, bei dem er sich das Knie verletzt hat, seinem Arzttermin und bietet uns erstmal Kaffee an…]

Was für ein Jenkem-Mix ist das?

Josh Stewart. Der ist auf jeden Fall korrekt. 

Hast du dir noch mehr davon runtergeladen? 

Ich lad die nie runter, ich streame die immer nur. Aber den Mix von diesem Welcome-Typen höre ich auch öfters. 

Max: Chris Milic. 

Genau. Aber ich hab die nicht alle aufm Schirm. Bei ein paar sind halt geile Tracks dabei. Lucas Puig geht auch ab und der von dieser Pornotussi ist geil – den musste mit deiner Freundin hören. [lacht]

Du hast hier ja ein paar Gitarren rumstehen. Spielst du viel und auch noch andere Instrumente?

Sagen wir, ich probiere mich aus. Ich spiel seit knapp zehn Jahren Gitarre und könnte bestimmt auch noch andere Instrumente lernen, aber alles nicht so gut. Ich spiele eigentlich voll gerne, aber jetzt habe ich zum Beispiel ein halbes Jahr gar nicht gespielt, weil ich keine Saiten hatte. Je nachdem, was bei meinem MRT rauskommt, hole ich mir auf jeden Fall bald neue. [mittlerweile weiß er, dass er zwei bis drei Monate pausieren muss; Anm. d. Red.]

Was spielst du?

Ich tue mich echt schwer mit dem Nachspielen, weil es voll anstrengend ist das genauso nachzumachen, da werd ich wahnsinnig. Ich probier eher aus für mich zu spielen – so Blues find ich zum Beispiel geil – Doors sind richtig geil auf jeden Fall – nich so schnulzigen Pussy-Sound. Ich hatte früher ’n Kollegen, der hat mir super viel beigebracht. Aber der wohnt jetzt in Düsseldorf und seitdem lern ich kaum noch was. Er hier [Max Pack, Freund und Filmer; Anm. d. Red.] meint, er hätte mal Gitarrenunterricht gehabt, aber davon höre ich nichts. [lacht][…] Ich bin aber auch ein bisschen zu faul alleine zu üben, obwohl mir Mucke machen eigentlich extrem viel Bock macht.

Soloskatemag Marcel Fsflip

Frontside Flip

Zeichnest du auch noch? 

Jetzt wieder… Das ist ganz witzig. Ich hab nämlich früher in der Schule aus Langeweile extrem viel gezeichnet und danach dann gar nicht mehr. Jetzt bin ich seit drei, vier Monaten dabei mein Abi nachzuholen und zeichne auch wieder. [lacht] 90% meiner Bilder sind auf jeden Fall in der Schule entstanden. 

Ich wusste übrigens gar nicht, dass du Pole bist. Wo bist du geboren?

Ich bin halb Pole, halb Deutscher und hier in Deutschland geboren. Ich spreche aber, seitdem ich denken kann, polnisch, weil ich in den ersten Jahren, wenn mein Vater arbeiten war, nur polnisch mit meiner Mutter gesprochen habe. Seit zehn Jahren jetzt gar nicht mehr, aber irgendwie verlernt man das nicht mehr, wenn das einmal so richtig drin war. 

Glaubst du an Gott? 

Also ich glaube, ich bin katholisch getauft, wie die meisten Polen, aber ich bin nicht gläubig im Sinne einer bestimmten Religion. Ich ziehe mir so ein paar Dinge aus unterschiedlichen Religionen oder Lebensbetrachtungen raus. Ein paar Dinge im Buddhismus sind ziemlich cool. Am besten finde ich, dass Buddha ein Mensch ist, der einen guten Lebensentwurf hat, wie man mit allem gut klarkommt und nicht wie in anderen Religionen eine höhere Macht. Außerdem finde ich das Prinzip der Reinkarnation cool, nach dem man am Ende eines Prozesses auf jeden Fall in den Himmel kommt. Das Christentum droht ja quasi mit der Hölle, je nachdem welche Sünden man begeht und im Buddhismus ist alles ein bisschen freier und man bekommt eher Vorschläge gemacht. Ich interessiere mich aber allgemein für spirituelle Sachen. Alles, was so ein bisschen mystisch und grenzwertig ist, finde ich voll geil. Ich denk, dass es irgendwelche höheren Energien oder Kräfte gibt, die sich auf unser Leben auswirken, aber eben nicht in Form von irgendeinem Gott, der da oben sitzt und alles regelt. Ich glaub eher, dass die Welt ein großes Ganzes ist und alle Bewohner in einer Wechselwirkung zueinanderstehen, aber das ist ein schwieriges Thema. Früher habe ich mir auch noch Bücher dazu reingezogen, aber dann wurde das mit der Zeit immer weniger, weil andere Dinge eine größere Rolle gespielt haben und in der WG auch immer Action war. Da hatte ich nicht viel Zeit für mich und jetzt fängt das gerade wieder alles an, weil ich alleine wohne.

Apropos, wir sitzen jetzt hier in deiner neuen Bude, mitten im Zentrum, 30 bis 40 Quadratmeter. Warum bist du aus der WG ausgezogen? 

Zum einen weil ich ein bisschen mehr Zeit für mich wollte, aber wenn ich ehrlich bin, war der Hauptgrund die Hygiene. [lacht] Zwei Jahre kann man auf jeden Fall easy mit ’nem schmutzigen Bad und einer schmutzigen Küche leben, aber irgendwann hat’s mich gestört. Mein altes Zimmer war auf jeden Fall auch der größte Gipsy Bunker auf Erden und jetzt ist meine Bude ein bisschen abgecheckter und ich glaub ’n bisschen Ordnung und System tut mir auch ganz gut. 

Soloskatemag Weber Crooked

Crooked Pop-over

Und jetzt wohnt der Kollege hier in deiner alten Bude… 

Max: Aber ey, wir haben jetzt ’ne neue Küche und dadurch, dass ein Mädel eingezogen ist, ist jetzt alles zumindest ein bisschen ordentlicher. Der Marvin fährt jetzt auch jeden Morgen zur Arbeit. Also es hat sich da schon was verändert… 

Es gab ’ne Zeit, wo alle vier in der alten Bude keinen Job hatten und dann kann man sich vorstellen, wie das läuft. Alle kommen immer vorbei und dann wird da natürlich derbe gechillt und die Wohnung versaut. Das war super cool, aber nicht unbedingt die produktivste Konstellation. Seitdem ich da raus bin, habe ich auch wieder mit der Schule angefangen. 

Du warst früher voll der Leichtathletik-Champ, stimmt das? 

Naja was heißt Champ, mein Opa hat mich halt dreimal die Woche zum Training nach Leverkusen gefahren, das war früher auf jeden Fall mein Ding – vor allem Hochsprung. Da waren so 1,84m drin und das hat auf jeden Fall gebockt. Irgendwann kam dann Skaten und ich hab das noch ein bisschen parallel gemacht. Aber nach ’nem Wettkampf dann noch rollen gehen, ist auf jeden Fall hart gewesen und gab den übelsten Muskelkater. Dann war Skaten irgendwann wichtiger und ich hab zu meinem Trainer gesagt, dass ich aufhören will. Fand der natürlich nicht so geil, aber das musste halt sein. 

Profitierst du jetzt von dem Training damals?

Definitiv! Wir haben so viel Zirkeltraining gemacht, was ein Skater niemals freiwillig machen würde und das bringt auf jeden Fall ’ne krasse Grundspannung, die fürs Skaten super ist, da kann man auch Slams besser wegstecken. 

Machst du die Übungen immer noch?

Ja, ab und zu mach ich ein bisschen Gymnastik oder Sit-ups vorm Skaten und ich merk dann auf jeden Fall, dass ich dadurch besser drauf bin. 

Komm, kannst ruhig zugeben, dass du die Sit-ups für die Girls machst, so oft wie du oben ohne skatest…

Ja natürlich auch ein bisschen [lacht] – das ist dann der coole Nebeneffekt. 

Soloskatemag Weber Tre

Treflip

Du bist in Deutschland schon eine Weile auf dem Radar, hattest sogar schon ein Foto in der Thrasher… Woran liegt es, deiner Meinung nach, dass es mit den Sponsoren noch nicht so richtig geklappt hat? 

Sag du es mir, ich bin mir nicht sicher – aber ich erahne, woran es liegen könnte. Ich bin bis jetzt immer einer gewesen, der einfach nur skaten wollte und dachte, dass es irgendwann von alleine passiert. So „let it be“-mäßig. Aber mittlerweile hab ich das Gefühl, dass man sich schon ein bisschen darum kümmern muss, was mit der eigenen Footy und den Fotos passiert, und dass man generell die Dinge in die Hand nehmen muss, indem man sich ein bisschen mit Leuten connected und sich erkundigt was möglich ist und so weiter. Das habe ich jetzt mal ein bisschen mehr gemacht und Henne gebeten die Fotos nicht rauszuhauen, weil ich super gern für ein Interview sammeln würde und jetzt sitzen wir hier und es bewegt sich ein bisschen was. Ich merk auch gerade, dass es eigentlich voll easy ist den Henne anzurufen, weil der mittlerweile hier direkt um die Ecke wohnt. Das hätte ich auf jeden Fall schon früher machen können. Das ist wohl der richtige Weg. Und Max hat mich jetzt auch dazu gebracht bei Insta zu sein und kümmert sich so ein wenig darum und dafür bin ich ihm echt super dankbar, weil das eigentlich gar nicht mein Ding ist. Ich komm mir nämlich immer ein bisschen dumm vor, wenn ich frage, ob er jetzt mal den einen Trick bei der Session für Insta filmen kann. Ich mein, der will ja auch skaten und ich weiß auch nie so genau, ob das jetzt krass ist und Leute so was überhaupt sehen wollen. Ich hätte sicherlich auch schon ein paar Fotos mehr haben können, aber wenn ich einen Trick machen möchte und dann extra einem Fotografen und Max Bescheid sage, damit die dahin kommen, dann ist da direkt voll der Druck und ich hatte dann immer ein schlechtes Gewissen, wenn es nicht geklappt hat. So bin ich dann immer eher etwas zurückhaltend, was das angeht, aber ich habe gecheckt, dass es nur so laufen kann. 

Was wäre denn deine Wunschvorstellung bezogen auf Sponsoren?

Wunschvorstellung wäre, dass ich mir mit Skaten noch ein bisschen Zeit verschaffen kann, bis ich genau weiß was ich machen will. Der Traum wäre, wenn ich ein bisschen Geld bekomme, um über die Runden zu kommen und ein bisschen Travelbudget, um auf Trips zu gehen. Die letzten Jahre habe ich immer ziemlich viel gehustlet und bin kaum über die Runden gekommen, damit ich immer skaten gehen konnte. Wenn ich da auf einen grünen Zweig kommen würde und nicht immer Geldsorgen hätte, das wäre der absolute Traum und würde den Druck, einen richtigen Job nach dem Abi zu suchen, ein bisschen rausnehmen.

Und glaubst du, dass es noch passieren wird? 

Ehrlich? Nein. Also ich glaube schon noch, dass die Chance besteht, aber im Moment habe ich das Gefühl, dass es darauf hinaus läuft, dass ich jetzt mein Abi zu Ende mache, dann die nächste Aufgabe kommt und Skaten mit der Zeit leider zur Nebensache wird. Das fällt mir aber sehr schwer zu akzeptieren. 

Soloskatemag Weber Rail

Nosegrind

Was wärst du bereit zu geben, wenn dich ein großer Sponsor aufnehmen würde?

Ich würde genau wie jetzt richtig Gas geben, aber mit dem Unterschied, dass ich wahrscheinlich noch motivierter wäre und mich hoffentlich noch mehr auf Skaten konzentrieren könnte. Und wie gesagt, kümmere ich mich jetzt auch mehr um meine Angelegenheiten. Bisher gab es ja nur den Part im Jute Zick Video von mir und ansonsten hatte ich mal hier und mal da ein paar Tricks. Und jetzt achte ich darauf, dass nichts von meiner guten Footy irgendwo hinkommt und denke mir, mein kommender Part steht an erster Stelle. 

Ist Max jetzt so etwas wie dein Berater was das angeht – ich hab den Eindruck, dass er das alles ein bisschen für dich steuert? 

Auf jeden Fall und ich bin ihm super dankbar deswegen. Alleine schon wegen dem ganzen Filmen hilft er mir ja extrem. Er sammelt und sortiert den ganzen Stuff für mich und kümmert sich komplett darum. Ohne ihn würde es nur ganz wenig Footy von mir geben. Jeder Skater, der irgendwas erreichen will, ist auf so einen guten Homie, wie er einer ist, angewiesen. Sonst kannst du skaten wie du Bock hast, es kriegt dann leider niemand mit. 

Schneidest du auch seinen neuen Part, Max?

Max: Ja, wir machen das zusammen. Wir suchen jetzt noch einen Track und dann kann’s langsam losgehen. 

Du skatest selbst so gut, warum kannst du dich eigentlich fürs Filmen so begeistern?

Max: Weil ich es wichtig finde, dass ein Trick gut gefilmt wird. Was bringt der härteste Trick, wenn er später verwackelt oder unscharf oder zu klein zu sehen ist. Und es macht mir Spaß Leute zu filmen, die ich gerne skaten sehe, auch wenn es oft hart ist nicht selber zu skaten.

Marcel, womit hat dir Mark Frölich begründet, dass du nicht mehr für Forvert fahren kannst?

Weißt du was, Digger? Mir hat das bis jetzt noch keiner so richtig persönlich gesagt. Ich habe irgendwann mal den Hans, dem Forvert unter anderem gehört, im Burger-Laden getroffen und meinte zu ihm: „Hey, ich wollte mich die Tage auch noch mal melden, wegen Stuff ordern…“, und dann meinte er so nach dem Motto, ja, ähm, wir haben jetzt übrigens auch ’n neues Team, vier Fahrer, so und so, und dann haben wir noch ein bisschen gelabert und ciao. Und dann bin ich so nach Hause gegangen und hab mir gedacht, hää, was für vier Fahrer? Und wieso war von mir keine Rede? Und dann hab ich Paco getroffen, den die auch gefragt haben und meinte: „Sag mal, heißt das jetzt, dass ich nicht mehr für Forvert fahre? Und Paco sagt so: „Tut mir echt leid, aber ich glaube schon.“ Und dann hab ich mich auch gar nicht mehr gemeldet, weil ich das komisch fand, dass er mir das gar nicht so richtig gesagt hat. 

Soloskatemag Benett Weber

Benett grind

Woraus ziehst du deine Motivation, obwohl es mit den Sponsoren bislang nicht so gut lief?

Das ist schwierig in Worten zu beschreiben, aber ich würde sagen für mich und meine Selbstverwirklichung. Die Motivation kommt wie bei einem Künstler, der Bock hat Bilder zu malen, auch wenn er keine Kohle damit macht. Das steckt in mir und will einfach raus. Auch so dicke Dinger wie Handrails, das macht manchmal einfach Bock. Man merkt, man könnte das machen und dann macht man das einfach. 

Du schlägst dich manchmal selbst, bevor du ein Handrail skatest. Was steckt dahinter?

Weil ich damit meinen inneren Schweinehund bezwingen kann. Ich bring mich damit in Rage. Ich hatte mal einen dicken Streit mit einem Mädel und das hat mich gepusht auf dieses eine Handrail zu springen. Daran hab ich mich dann erinnert und gemerkt, dass ich mich mit ein paar Ohrfeigen auch pushen und die Angst austricksen kann und dann ist es schon passiert. Aber das mache ich auch nur in Maßen, ohne mir da richtige Schmerzen zuzufügen. 

Welche Rolle spielen die Skywalker Crew und der Lentpark für deine Entwicklung? 

Das sind die Homies, die mich pushen und mit denen ich eine gute Zeit einfange und wenn ich die nicht hätte, würde ich auch schlechter skaten. Das gleiche gilt für den Lentpark, der spielt auf jeden Fall eine riesige Rolle in meinem Leben und ist mein zweites Zuhause. Ich würde sagen, dass der Lentpark die größte Rolle in meiner Entwicklung spielt. Da konnte ich noch mal einen richtigen Sprung machen, weil wir vorher einfach immer nur am Dom geskatet sind und das war es eigentlich. Am Lentpark haben wir zum ersten Mal ein richtig korrektes Flatrail und ein bisschen Transition und das ist einfach unser Spot, den wir derbe abfeiern und mit dem wir richtig verschmolzen sind. Leider hab ich nur am Ende so ein bisschen Verschönerungsarbeiten gemacht, also nicht so richtig gebaut leider. Aber ein bisschen Herzblut steckt da zum Glück auch von mir mit drin.