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Toby Mantl – Der Verlust des Gleichgewichts

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Das Verletzungspech hat Toby Mantl bereits zwei Kreuzbandrisse, zwei Armbrüche und etliche Bänderrisse eingebracht, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was ihm am 1. Mai 2014 widerfahren ist. Durch einen Schädelbasisbruch mit resultierendem Schädel-Hirn Trauma streifte Toby knapp die geistige Behinderung, wurde jedoch auf einem Ohr taub, inklusive Tinnitus. Während wir vor dem Interview noch gemütlich Miniramp fahren, muss ich mich ständig auf seine rechte Seite stellen, damit er mich hören kann. Ach ja, eigentlich hatten ihm die Ärzte gesagt, er würde nie wieder skaten können…

Erzähl doch mal von dem Vorfall – was ist da genau passiert?

Aufgrund der starken Gehirnblutungen kann ich mich leider an nichts erinnern. Ich wurde vermutlich auf dem Heimweg von einer Party niedergeschlagen. Mich hat ein Passant bewusstlos auf einem Gehweg gefunden. Es war offensichtlich, dass Fremdeinwirkung im Spiel war, weil ich sowohl eine Platzwunde am Hinterkopf als auch eine im Gesicht hatte.

Was war der erste Moment, in dem du verstanden hast, was überhaupt passiert ist?

Als ich am nächsten Tag im Krankenhaus aufwachte, war ich im ersten Moment gar nicht sonderlich überrascht, dass ich dort lag, ich habe die Situation durch meine anfängliche Verwirrung falsch eingeordnet. Ich dachte, dass ich wegen meines Knies im Krankenhaus liege, weil ich mir im Jahr zuvor beim Skaten das Kreuzband gerissen habe und es daher gewohnt war, im Krankenhaus zu sein.

Was war dein erster Gedanke, als du realisiert hast, dass es nicht um dein Knie geht?

Das ist durch die Verwirrung schwer zu beantworten, aber ich weiß, dass für mich das Schlimmste war, als mir gesagt wurde, dass ich durch mein fehlendes Gleichgewicht nie wieder Skateboard fahren könnte. Ein Bereich im Gehirn, der für den Gleichgewichtsinn zuständig ist, ist bei mir zerstört. Mir war zwar klar, dass ich nicht bis an mein Lebensende Skateboard fahren werde, aber in dem Moment, war es tatsächlich die schlimmste Botschaft. Skateboarding war für mich immer schon die wichtigste Sache in meinem Leben. Die Ärzte hielten es für ausgeschlossen, dass ich jemals wieder auf dem Board stehe.

Toby Mantl
Was für Begleiterscheinungen hattest du sonst noch?

In den folgenden Tagen stellte sich heraus, dass ich seit dem Schädel-Hirn Trauma auf dem linken Ohr vollständig taub bin und zusätzlich unter einem chronischen Tinnitus leide. Es hat sich ebenfalls herausgestellt, dass ich nicht mehr schmecken und riechen kann. Das hat sich bis zum heutigen Tage nicht mehr eingependelt, obwohl ich nach zwei Monaten gemerkt habe, dass ich teilweise wieder süß, sauer und bitter wahrnehmen kann. Ich konnte anfangs nur liegen, weil sich die ganze Zeit alles gedreht hat.

"Erst konnte ich mich kaum auf dem Board halten und bin einfach immer wieder runtergefallen"

Wie lange hast du gebraucht um das erste Mal aufs Skateboard zu steigen?

Da sind einige Monate vergangen. Erst konnte ich mich kaum auf dem Board halten und bin einfach immer wieder runtergefallen. Obwohl das sehr frustrierend war, habe ich mich alle zwei Tage gezwungen, wieder aufs Board zu steigen. Es hat Wochen gedauert, bis ich überhaupt einigermaßen pushen konnte, aber ich habe mit jedem Mal gemerkt, dass es besser wird. Nach etwa zwei Monaten fing ich wieder an Kickflips zu probieren, weil in der Theorie noch alle Tricks im Kopf präsent sind. Nach einer gewissen Zeit habe ich angefangen die Kickflips zu landen, aber ich bin immer wieder vom Brett gefallen. An einem Tag habe ich über 50 Kickflips hintereinander versucht und fast jeden gelandet, aber ich konnte keinen Einzigen ausfahren. Ich bin jedes Mal nach der Landung einfach umgefallen. Ich habe mir dann gedacht: „Ey komm, das war der einfachste Trick, der muss gehen“, bin aufgestanden und habe meinen ersten Kickflip seit über einem Jahr ausgefahren. Zwar total unsicher und wackelig, aber ich hatte ihn gestanden.

Und wie hat sich dann alles weiterentwickelt?

An dem Tag habe ich gemerkt, dass es immer besser wird, umso mehr ich dafür mache. Danach machte ich praktisch kontinuierlich Balanceübungen, intensivierte die Physiotherapie und bin immer öfter skaten gegangen. Jedes Mal konnte ich Teile meiner alten Skills zurückerlangen.

Toby Mantl – Drop In Kickflip
Wie war es das erste Mal in den Skatepark zu gehen?

Am Anfang total unangenehm, ich war ja vorher natürlich auf einem ganz anderen Level. Mir war es regelrecht peinlich, gesehen zu werden. Ich bin erst Ende Herbst das erste Mal zum Lentpark gegangen.

Meinst du, dass Skaten dir bei der Genesung geholfen hat?

Auf jeden Fall. Man sagt, je mehr man sich auf den Schwindel einlässt, desto besser wird er. Wenn man die ganze Zeit nur im Bett liegt und sich nicht bewegt, wird der Schwindel nicht besser.

Du filmst ja auch – warst du während deiner Verletzungspause viel filmen?

Also Skateboarding habe ich in der Zeit gar nicht gefilmt. Ich habe aber trotzdem viel fotografiert und gefilmt, aber in anderen Interessengebieten. Zum Beispiel war ich für einige Tage in Behandlung bei einem Homöopathen an der Ostsee. Dort habe ich einen Naturclip gedreht. Ich habe mir zu dem Zeitpunkt eine Kameradrohne gekauft und war ziemlich euphorisch, die Kiste richtig fliegen zu lernen. Drohnenfliegen, Fotografieren und Filmen haben mich abgelenkt und mir sehr gut getan. Das waren alles vorher schon große Leidenschaften, aber in dieser Zeit konnten sie Skateboarding bis zu einem bestimmten Grad ersetzen. Skateboarding, filmen und fotografieren sind auch die einzigen Dinge, bei denen ich meinem Tinnitus einigermaßen ausblendenden kann.

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